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Gedenkstättenfahrt Auschwitz 2021

Datum:
29. Okt. 2021
Von:
Michelle

„Geteiltes Leid ist halbes Leid“, ein Sprichwort, das sicherlich jeder von uns schon einmal gehört hat. Doch konnte sich jeder damit identifizieren und verstehen, was das Sprichwort eigentlich meint? Ich bin ehrlich: bis vor wenigen Wochen konnte ich genau das nicht nachvollziehen. Ich habe nicht verstehen können, warum es mir besser gehen sollte, weil andere das Gleiche fühlen wie ich und dasselbe Leid in sich tragen. Bis ich auf der Gedenkstättenfahrt genau das erleben durfte.

Wir waren eine Gruppe von 21 Personen. 21 völlig unterschiedliche Menschen, die sich teilweise untereinander nicht kannten und sich fremd waren. Jeder von uns mit demselben Interesse: zu verstehen, was Menschen während des Holocaust erleben mussten und wie sie versucht haben zu überleben. Für uns alle war es bis zur Ankunft in Auschwitz unvorstellbar, welches Ausmaß die Verfolgung völlig unschuldiger Menschen hatte und wie sie im Konzentrationslager gelebt haben.

Ich war der Meinung, dass ich sehr viel über das Thema recherchiert und mich gut mit dem Thema auseinander gesetzt habe und mich die Erkenntnisse im KZ nicht belasten werden. Ich lag leider falsch.

 

 

Die Anspannung innerhalb der Gruppe war fast zu greifen, als wir mit einem Tour Guide durch das KZ, das sogenannte „Auschwitz I“ gegangen sind. Jeder war konzentriert darauf zu verstehen, was uns erzählt und gezeigt wurde. Meine Gedanken während diesen Rundgangs waren „Wie können Menschen nur so grausam sein und Unmenschliches mit so unschuldigen armen Leuten tun!?“ und „Warum haben so viele Leute weggeschaut?“ , aber auch „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das, was mir erzählt wird, hier auch passiert ist.“ Und als ich in die Gesichter der anderen gesehen habe, wusste ich, dass sie dieselben Gedanken hatten. Wir waren alle zutiefst erschüttert und bedrückt von den Einblicken. Wir sahen beispielsweise einen riesigen Berg von abgeschnittenen Haaren der Gefangenen, Gepäck, das sie mit nach Auschwitz brachten, Brillen, Prothesen der Kranken und Hunderte von Bildern der Menschen, die im KZ ums Leben kamen. Am Ende des Rundganges sind wir durch eine Gaskammer gegangen. Am Ende von ihr waren die Öfen, wo die Leichen verbrannt wurden. Das war sehr grausam.  Manche aus der Gruppe waren so berührt, dass sie anfingen zu weinen. Sie wurden aber liebevoll von den anderen der Gruppe aufgefangen, und es war okay zu weinen. Man hat verstanden, warum derjenige so aufgelöst war. Es war schön zu sehen, dass man von der Gruppe in den Arm genommenen und getröstet wurde.

 

Auch am anderen Tag, als wir nach Birkenau ins „Auschwitz II“ gefahren sind, war die Anspannung in unseren Blicken zu sehen. Das KZ war riesig und man konnte nicht das Ende sehen. 147 Hektar groß wurde uns berichtet. 147 Hektar voller Leid auf einem Fleck. Viel war nicht mehr zu sehen, da die SS-Männer versucht haben, die Spuren der Grausamkeit verschwinden zu lassen und haben viel zerstört. Wir sahen einige Baracken, in denen die Gefangenen geschlafen haben und die alten Sanitäranlagen, bestehend aus Stein-Toiletten und Waschbecken, die aber nicht mehr zu sehen waren. Die Gleise zum KZ waren noch vorhanden, ebenso wie ein Wagen, mit dem die Gefangenen angekommen waren und dann aufgeteilt wurden. Dass in diesem Wagen 80 Menschen untergebracht waren, war für mich unvorstellbar, da ich mir vorgestellt hab, wie es wäre mir der gesamten Gruppe von uns dort zu sitzen und dann bemerkt habe, dass das sehr eng sein müsste. Wir gingen an den vielen Ruinen der ehemaligen Baracken vorbei und ich hatte das Gefühl, als würde der Weg nicht enden. Doch am Ende des Weges sah man die großen Ruinenhaufen der Gaskammern und Krematorien. Obwohl man nur erahnen konnte, wie es aufgebaut war, konnte ich es mir bildlich vorstellen und war erschüttert. In mir löste sich ein beklemmendes Gefühl aus und wurde mit dem Gang in den angelegten Wald nur noch schlimmer. Dort waren ebenfalls Ruinen und die nie fertig gewordene Kläranlage. Im hintersten Stück des Waldes war der ehemalige Scheiterhaufen, wo die Leichen in riesigen Türmen verbrannt worden sind. Tausende von Leichen wurden einfach verbrannt. Schlimm war für mich vor allem zu sehen, dass obwohl wir in einem großen Waldstück waren, kein Vogel umher flog, kein Eichhörnchen die Bäume hochkletterte und kein Leben im Wald war. Außerdem roch es süßlich und verbrannt, was mein beklemmendes Gefühl in Übelkeit und extremen Unwohlsein veränderte. Ich wollte nur noch so schnell es ging den Ort verlassen. Um mich herum war das Leid noch ganz nah zu spüren und auch die anderen aus der Gruppe ging es ähnlich wie mir.

An den Ruinen der Gaskammern waren Platten als Gedenkstätte an den Opfern. Die Platten waren in unterschiedlichen Sprachen beschriftet. Dort brach dann unser aller leid aus. Viele von uns fingen bitterlich an zu weinen, waren zutiefst erschüttert und verzweifelt, wegen dem Gedanken daran, wie man nur so etwas grausames erleben musste als gefangener. Auch mir ging das alles sehr nah. Meine Freunde weinten um mich herum und auch ich hatte mit den Tränen zu kämpfen. Und dann passierte etwas Magisches in meinem Augen. Wir alle trösteten uns gegenseitig und nahmen uns in den Arm. Und durch diese Erfahrung merkte ich, dass es mir besser ging, weil ich wusste, dass ich nicht alleine mit den vielen Gedanken und dem Leid war. „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ ergab plötzlich Sinn für mich. Ich habe gemerkt, wie mein Leid weniger wurde, da ich getröstet wurde, aber auch die anderen getröstet habe.

Wir zündeten Kerzen an und stellten sie auf die Platte mit der deutschen Innenschrift. Außerdem beteten wir gemeinsam das „Vater unser“. Es half mir sehr in dem Moment, etwas Frieden mit meinem Gedanken zu schließen und zu verstehen, dass man an den Taten nichts mehr ändern könnte.

 

Wir haben an Workshops teilgenommen, bei denen wir uns mit SS-Männern befasst haben und versucht haben zu begreifen, warum sie so viel Leid verursacht haben. Dazu bekam jeder von uns ein bis zwei Menschen, die Leid an den Gefangenen ausgeübt haben. Wir mussten Texte zu ihnen lesen und aufschreiben, was vor dem 2. Weltkrieg war und was für Menschen sie vor ihrer Zeit im KZ waren. Zudem haben wir uns auch mit den Opfern befasst und konnten über sie lesen, wie sie die KZ-Zeit empfunden haben und Tagebucheinträge sowie Artikel lesen. Diese Informationen waren ebenfalls sehr emotional für uns.

 

Am Ende der Fahrt wurde uns allen klar: wir können etwas verändern. Wir können dafür sorgen, dass so etwas Schlimmes nie wieder passiert - und wir sind verantwortlich dafür, dass alle Menschen gleich behandelt werden und alle Menschen die gleichen Rechte auf Leben haben. Das war mir vorher nicht so bewusst und ich fange an, anders über viele Menschen zu denken und versuche, keine Vorurteile mehr zu haben. Ich hoffe, dass es mir gelingen wird.

 

Trotz, dass die Fahrt so eine ernste Thematik beinhaltet hatte, gab es außerhalb der KZ-Besuche schöne Momente innerhalb der Gruppe. So haben wir beispielsweise an einem Abend mit allen Leuten „Werwolf“ gespielt und viel gelacht, an einem anderen Tag sind wir laut singend durch die Straßen von Krakau gelaufen. Diese Momente waren für mich sehr schön, da ich so besser mit dem, was ich gesehen hatte, umgehen konnte. Auch als wir in Krakau waren, hat es viel Spaß gemacht, da wir viel Zeit innerhalb einer Kleingruppe hatten uns die Stadt anzuschauen und unser Tour Guide uns schöne und besondere Orte gezeigt hat. Wir waren auch im ehemaligen Judenviertel und im Ghetto. Das war wiederum nicht so schön, aufgrund der Thematik. Aber im großen und ganzen tat es gut, in der Gruppe so viel gemacht zu haben.

 

Auf der Rückfahrt nach Hause waren wir nicht mehr wie zu Beginn teilweise Fremde, sondern eine große Gruppe von Menschen mit dem gleichen Interesse. Und mit den gleichen Kenntnissen. Wir waren eine Gemeinschaft.

 

Michelle